Wieder einmal treibt Donald Trump, der -Furiose, die halbe Welt vor sich her. Sein Friedensplan für die -Ukraine sorgt insbesondere in Europa für Entsetzen und Empörung. Allerdings, das sei hier bereits vorangestellt, mischen sich auch schon erste neue Töne eines gewissen ernüchterten Realismus darunter. Was, wenn der verhasste, verachtete, mit Pech und Schwefel übergossene Amerikaner am Ende recht behielte? Wenn es gar keinen anderen Ausweg aus dem Krieg mehr gäbe, als die bittere Pille zu schlucken?

Aber der Reihe nach. Die Ereignisse, die -Reaktionen und Gegenreaktionen auf dem diplomatischen Feld überschlagen sich gerade. Wie so oft sind es Trump und seine beschwingte Mannschaft – sein Vize J. D. Vance, sein Aussenminister Marco Rubio –, die den Ton angeben. Jeder einzelne Punkt des Vorschlags – Einfrieren der Frontlinie, ukrainischer Verzicht auf die Krim, keine Nato-Mitgliedschaft Kiews, Aufhebung der Sanktionen gegen Moskau – lässt die Europäer aufheulen. Deutsche und Schweizer Medien zitieren einen «ranghohen EU-Diplomaten» mit dem Satz: «Klingt nach Kreml». Vielleicht klingt es einfach nur nach einer nüchternen Lagebeurteilung. 

 

«Reiner Diktatfrieden» 

Besonders harsch reagieren Kiew und Brüssel auf die wie auch immer geartete Anerkennung der Annexion der Krim. Hier gebe es «nichts zu bereden», sagt Selenskyj. Auch die EU lehnt dies kategorisch ab. Laut Gerüchten war Selenskyjs Weigerung, darüber zu sprechen, der Grund, dass Rubio und der amerikanische Chefunterhändler Steve Witkoff ihre Zusage für ein trilaterales Treffen mit ukrainischen und europä-ischen Spitzenvertretern zurückzogen. 

Nochbundeskanzler Olaf Scholz warnt vor einem «Diktatfrieden», ein Wort, das auch andernorts wieder die Runde macht und in Deutschland – Stichwort «Versailles» – einen besonders üblen Geruch hat. (Mit der historischen Analogie wird es dann allerdings -schwierig: Will der Kanzler damit andeuten, dass die Ukraine dereinst aufstehen werde gegen diesen «Diktatfrieden», wie es nach dem Ersten Weltkrieg das Deutsche Reich unter Hitler getan hat?) Verteidigungsminister Boris Pistorius spricht derweil von «bedauerlichen» Zugeständnissen an Russland und reklamiert, Europa dürfe nicht «am Katzentisch» sitzen. Für Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Europaparlament, wäre die Anerkennung der Krim als russisch gar ein «Verrat an der -Ukraine». 

In den Medien klingt es ähnlich. Süddeutsche Zeitung und Tages-Anzeiger berichten von einer «langen Liste an Zugeständnissen zu Lasten der Ukraine – als hätte Wladimir Putin sie aufgeschrieben». Für die Welt könnte damit «ein langgehegter Traum» Putins in Erfüllung gehen. Laut dem Spiegel stürzt Trumps möglicher Deal mit Putin die neue Bundesregierung in ein «Ukraine-Dilemma»: «Friedrich Merz ist noch nicht zum Kanzler gewählt, muss aber fürchten, mit einer aussenpolitischen Hypothek zu starten: dass Trump der Ukraine einen für Putin günstigen Diktatfrieden aufzwingt.»

Düstere Endzeitstimmung verbreitet der Vorstandsvorsitzende von Axel Springer, Mathias Döpfner, in der Bild: «Entweder wir stehen zusammen. Oder wir fallen.» Der ultimativ vorgetragene Friedensplan für die -Ukraine sei «schlimmer als die schlimmsten Befürchtungen». Auf dem Tisch liege – es kommt schon wieder – ein «reiner Diktatfrieden». Für Döpfner markieren die Bemühungen der Amerikaner um ein Ende des Blutvergiessens und die Wiederaufnahme normaler Geschäftsbeziehungen eine Epochenzäsur: Sie läuteten das «Ende einer einigermassen stabilen Weltordnung ein». Wer ja zu diesem Plan sage, versündige sich «für immer an jeder Art von Völkerrecht und territorialer Integrität». 

Mit den Details des amerikanischen Vorschlags, befindet Döpfner, müsse man sich gar nicht auseinandersetzen. Europa dürfe Trumps Plan «nicht einmal diskutieren». Hoppla. An diesem Punkt wird es interessant. Döpfner gliedert sich also energisch ein in die Reihe derer, die sagen, in der Ukraine werde nicht nur die Ukraine, sondern würden Europa, die Demokratie, die westlichen Werte, würde – so Döpfner wörtlich – «die Zukunft unserer Welt» verteidigt. 

Scheue Gegenfrage: Gründet diese aufgeklärte westliche Welt aber nicht gerade darauf, dass wir über alles offen und vorurteilslos reden, dass wir im Wettstreit der Fakten und Argumente eine Lösung suchen? Ist es wirklich der Weisheit letzter Schluss, über Trumps Friedensvorschlag nicht einmal zu diskutieren? Stärkt es die Position Europas, wenn man trotzig den Kopf in den Sand steckt und die Amerikaner und die Russen machen lässt? 

Das scheint auch deshalb nicht unbedingt das Klügste zu sein, weil eine gewisse Dringlichkeit des Problems nicht von der Hand zu weisen ist. Trump spricht von einem «letzten Angebot», verliert allmählich Nerven und Geduld. Der Eklat des Selenskyj-Besuchs im Weissen Haus ist noch in Erinnerung. Auch steht der Schauplatz Europa nicht zwingend zuoberst auf seiner To-do-Liste. Wirtschaftlich geht da wenig, machtpolitisch sowieso – kein Vergleich jedenfalls zu China, wo er derzeit seinen grössten Rivalen sieht. 

US-Aussenminister Rubio hat bereits nach Gesprächen Mitte April in Paris angemahnt, es müsse sich bald entscheiden, ob eine Einigung möglich sei. «Wenn ja, sind wir dabei. Wenn nicht, haben wir andere Prioritäten, auf die wir uns konzentrieren.» Die Amerikaner haben den Europäern noch einmal die Hand ausgestreckt, obwohl diese Hand bisher immer gebissen oder abgewiesen worden ist. Rubio forderte sie auf, sich aktiver einzubringen. Er brachte auch ins Spiel, dass es für die Verhandlungen womöglich hilfreich wäre, würde Brüssel ein Ende der Sanktionen gegen Russland in die Waagschale werfen. Aber nein, man soll nicht einmal diskutieren. 

Natürlich: Rhetorisch kann man immer Stärke markieren. Das haben auch ein Macron, ein Merz, ein Starmer und viele andere getan. Vollmundig hat die «Koalition der Willigen» angekündigt, den Amerikanern das Heft aus der Hand zu nehmen und selbst Truppen in die Ukraine zu senden. Und wo sind diese Willigen jetzt? Haben sie, hat Brüssel, hat sonst ein europäischer Staat einen substanziellen Lösungsvorschlag eingebracht? 

 

«Süddeutsche» fordert Einlenken

Offenbaren die kakofonisch anmutenden Einwürfe der Europäer nicht vielmehr schmerzlich, welche Uneinigkeit herrscht? Wenn sich schon die Willigen nicht zusammenraufen können, was ist dann mit einem Merz und einer -Meloni? Was ist, erst recht, mit einem Viktor Orbán in Ungarn, der kein Hehl daraus macht, dass ihn die – vorsichtig formuliert – unkooperative Art der Union ärgert und er durchaus erwägen könnte, die Verlängerung des EU-Sanktionspakets gegen Moskau zu blockieren? 

Nicht zu reden von den harten wirtschaftlichen Basisdaten. Wenn man rhetorisch und nicht nur rhetorisch derart aufrüstet und eine -chiliastische Entscheidungsschlacht mit Russland herbeiraunt, wie das ein Döpfner tut, oder wenn man eine solche Auseinandersetzung gar noch beschleunigen will, indem man, wie ein Friedrich Merz und sein CDU-Vertrauter Thorsten Frei ankündigen, Taurus-Marschflugkörper an Kiew liefert, um feindliche Ziele wie die russische Krim-Brücke zu attackieren, muss man sich ganz nüchtern rechnend die Frage stellen, ob man sich einen solchen europäischen Krieg überhaupt leisten könnte. Monsterschulden, Rezession, Entzweiung mit Washington samt seinem militärischen Schutzschild – sind das wirklich die Pfeiler, auf die man sich stützen kann? Wissen diese Politiker überhaupt, womit sie da spielen? 

Oder wäre es – wir fragen weiter – nicht hilfreicher, den von Trump angestossenen Friedensdialog wenigstens nicht weiter zu stören, wenn man schon selbst nichts auf die Reihe bringt? In der Tat zeigen sich erste Risse im Bild. «Perverser lässt sich ‹Frieden› kaum gestalten», poltert die Süddeutsche. Nachdem sie Trump und Putin beschimpft und «all das» als «zutiefst verwerflich» gegeisselt hat, stellt auch sie plötzlich Fragen, die in eine ganz andere Richtung zielen: «Aber – was sollten Deutschland, Frankreich, Grossbritannien militärisch und diplomatisch denn tun? Glaubt einer, das heutige Europa könnte Putin ohne die Noch-Supermacht USA tatsächlich glaubwürdig entgegentreten?» Und weiter: Die «chronisch uneinigen Europäer» müssten sich «an den kaum erträglichen Gedanken gewöhnen, dass die Ukraine wohl verloren hat und dem trumpschen Diktatfrieden zustimmen muss». So hat man das von dieser Seite noch nie gehört.

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