Der amerikanische Aussenminister Marco Rubio und der Vizepräsident J. D. Vance äusserten sich kritisch über die Hochstufung der AfD durch den deutschen Inlandgeheimdienst. In der Partei des designierten deutschen Kanzlers plädiert man dennoch für Zusammenarbeit.
Wenn der designierte deutsche Kanzler Friedrich Merz am Dienstag sein Amt antritt, steht eine Aufgabe ganz oben auf seiner aussenpolitischen Agenda. Er muss Deutschlands zerrüttetes Verhältnis zu den Vereinigten Staaten kitten. Ob Ukraine, Israel oder Zollpolitik: In den wichtigsten transatlantischen Fragen sind die Regierungen in Berlin und Washington derzeit so gespalten wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik.
Zu den Meinungsverschiedenheiten kam nun am Wochenende eine weitere hinzu. Vertreter der amerikanischen Regierung stellten sich öffentlich gegen die Einstufung der AfD als «gesichert rechtsextremistische Bestrebung» durch den deutschen Inlandgeheimdienst. Der amerikanische Aussenminister Marco Rubio kritisierte den Vorgang scharf. Deutschland habe seinem Geheimdienst neue Befugnisse zur Überwachung der Opposition erteilt, schrieb er auf der Plattform X. «Das ist keine Demokratie – es ist verdeckte Tyrannei.»
Der amerikanische Vizepräsident J. D. Vance teilte den Beitrag und fügte hinzu, «die Bürokraten» versuchten, die AfD zu zerstören. Der Westen habe die Berliner Mauer gemeinsam niedergerissen. Nun sei sie wieder aufgebaut worden, nicht von den Sowjets oder den Russen, sondern vom «deutschen Establishment».
Bei den deutschen Christlichdemokraten sieht man diese Äusserungen zwar kritisch. Folgt man führenden Politikern der künftigen Kanzlerpartei, ist eine engere Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten jedoch unerlässlich.
Der aussenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Jürgen Hardt, fordert, dass die neue Bundesregierung offen auf die US-Regierung zugeht. «Wir müssen wegkommen vom Übereinander-Reden und hin zur Zusammenarbeit», sagte er der NZZ. Die Nichtkommunikation unter dem scheidenden Kanzler Olaf Scholz habe Deutschland nicht weitergebracht. Die deutsche Politik müsse in den Köpfen in Washington einen Gedanken verankern: «Deutschland steht für Win-win-Angebote.» Dafür müsse Deutschland in Bereichen nachliefern, in denen die USA schon lange mehr forderten, etwa bei der Verteidigung.
Sein Parteikollege Roderich Kiesewetter übte deutliche Kritik an der Haltung der amerikanischen Regierung. «Spätestens seit der Vance-Rede in München wissen wir, dass die USA zunehmend die regelbasierte Ordnung auf der Grundlage von Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und Wehrhaftigkeit gegenüber Extremismus jeder Art aushöhlen», sagte er der NZZ. Kiesewetter zeigte sich dennoch zuversichtlich, dass die künftige Regierung «das notwendige Gespür hat, die USA an unsere gemeinsame Geschichte zu erinnern». Möglichkeiten zur Zusammenarbeit sieht er ausserdem bei der Wehrhaftigkeit gegenüber «Aggressorstaaten» wie Russland, China, Iran und Nordkorea.
Fraglich ist jedoch, ob diese Zugeständnisse ausreichen, um die Amerikaner wieder von Deutschland zu überzeugen. In den vergangenen Monaten wurde deutlich, dass die Regierung von Präsident Donald Trump die Frage nach dem Umgang mit der AfD nicht bloss als innenpolitische Angelegenheit Deutschlands sieht. Sie scheint daran festmachen zu wollen, ob die Bundesrepublik noch auf der richtigen Seite steht.
Der Vorgang dürfte die amerikanische Regierung in ihrer Einschätzung zum Zustand der europäischen Demokratien bestätigen. Vance hatte im Februar an der Sicherheitskonferenz in München gesagt, die Meinungsfreiheit befinde sich auf dem Rückzug. Die Regierungen Europas brächten ihre eigenen Bürger zum Schweigen. Brandmauern, wie jene zur AfD in Deutschland, dürfe es nicht geben.
Damals deutete er an, dass dies Folgen für die transatlantische Zusammenarbeit haben könnte. «Wenn Sie sich vor Ihren Bürgern fürchten, gibt es nichts, was Amerika für Sie tun kann», wandte er sich an die anwesenden Staats- und Regierungschefs. Nun steht die Frage im Raum, ob die Debatte über die AfD das deutsch-amerikanische Verhältnis zusätzlich belasten könnte.
Für Merz zeichnet sich damit bereits zu Beginn seiner Amtszeit ein Dilemma ab. Während sich der wichtigste Bündnispartner für die AfD einsetzt, denken seine Koalitionspartner von der SPD über ein Verbotsverfahren nach. Der Vizekanzler Lars Klingbeil will sich diese Option zumindest offenhalten. Und auch in Merz’ eigenen Reihen mehren sich die Stimmen für ein Parteiverbot. Selbst Jens Spahn, der sich kürzlich noch dafür ausgesprochen hatte, mit der AfD im Parlamentsbetrieb so umzugehen wie mit anderen Oppositionsparteien auch, klingt nun vorsichtiger. Man wolle sich in der Frage mit den Sozialdemokraten abstimmen, schrieb er am Sonntag auf der Plattform X.
Für Merz werden diese Differenzen schwer zu überbrücken sein. Kommt er den Amerikanern entgegen, wirkt er nach innen schwach und stösst seinen Koalitionspartner sowie Teile seiner eigenen Partei vor den Kopf. Gibt er dem Druck im Inneren nach, läuft er hingegen Gefahr, Deutschlands wichtigsten Bündnispartner weiter zu irritieren.
So oder so dürfte sich Merz seine Rolle im deutsch-amerikanischen Verhältnis anders vorgestellt haben. Er ist überzeugter Transatlantiker, zehn Jahre lang leitete er die Atlantik-Brücke, eine Organisation, die es sich nach dem Zweiten Weltkrieg zum Ziel gemacht hatte, das Verhältnis zu den USA wieder zu verbessern. Sein designierter Aussenminister Johann Wadephul teilt diese Einstellung. Einen Bruch der Beziehungen werden sie vermeiden wollen.